Samstag, 20. Juni 2015

Interpretation „Es geht uns gut“ von Arno Geiger


„Es geht uns gut.“ ist ein 2005 veröffentlichter Roman des Vorarlberger Schriftstellers Arno Geiger. Das Buch wurde mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Der Roman handelt in Wien im 13. Wiener Bezirk Hietzing. Die Rahmenhandlung welche im Jahre 2001 von April bis Juni angesiedelt ist, beschreibt wie der scheinbar antriebslose Phillip, der Enkel der mittlerweile verstorbenen Großeltern Alma und Richard Sterk, die von ihm im Vorjahr geerbte Villa ausräumt. Im Laufe der geschilderten Aufräumarbeiten, bei welchen Richard von den zwei ukrainischen Arbeitern Steinwald und Atamanow, unterstützt wird, kommt es immer wieder zu Rückblenden auf die Familiengeschichte der Sterks. 

Die einzelnen Kapitel, als Binnenhandlungen ausgeführt, erzählen zeitlich abgegrenzt das Leben der österreichischen Familie, von der Zwischenkriegszeit bis hin in die späten achtziger Jahre. Der auktoriale Erzähler springt dabei zwischen der Geschichte des Protagonisten Phillip, seinen Großeltern und seinen Eltern hin und her. Dabei gibt er deutlichen Einblick in die Emotionen und Gedanken der einzelnen Figuren. So wird die Geschichte seiner Großeltern Alma und Richard erzählt wie sie in der Zwischenkriegszeit, während des 2. Weltkrieges und auch danach ihr Leben führen. Auch wird die Beziehung der Großeltern beschrieben. Über ihre Tochter Ingrid, der späteren Mutter von Phillip, lernt der Leser Peter den Vater von Phillip kennen. Dabei wird auch die Beziehung von Ingrid zu Peter und zu ihrem Vater Richard beschrieben, der die Beziehung zwischen Ingrid und Peter nicht gut heißt. Der frühe Tod der jungen Mutter Ingrid leitet dann das Kapitel ein, in welchem die Beziehung von Peter zu seinen Kindern erzählt wird. Richard wird dement und Alma stirbt erst Jahre nach seinem Tod. Der Roman endet in dem Phillip plant mit Steinwald und Atamanow auf eine Hochzeitsfeier in die Ukraine zu fahren, um alles hinter sich zu lassen.

Richard Stambaugh
Durch die einzelnen zeitlich abgetrennten Kapitel und die Gedanken der Figuren erhält der Leser einen guten Einblick in die familiären Strukturen der einzelnen Dekaden. Richard der Patriarch bestimmt noch das Glück seiner Familie im Alleingang, kommt dadurch in Konflikt  mit seiner Tochter Ingrid, die bereits die Frauengeneration der Nachkriegszeit steht. Peter, welcher anfangs als erfolglos gilt, schafft es dennoch eine passable Stelle beim Kuratorium für Verkehrssicherheit zu bekommen. Durch den frühen Tod seiner Frau Ingrid muss er sich jedoch alleine um die Familie kümmern. Er versucht im Gegensatz zu Richard, welcher mit Ingrid gebrochen hat, die Verbindung zu seiner Tochter Sissi nicht zu verlieren.

Arno Geiger schafft es in seinem Roman verschiedenste Epochen der österreichischen Geschichte seit der Zwischenkriegszeit zu präsentieren. So sei es die anfangs goldige Zwischenkriegszeit, dann das düstere Kapitel des Anschlusses an Hitlerdeutschland, welches durch die Machtlosigkeit Richards gegenüber den Nazis sehr deutlich dargestellt wird. Er schafft es aber auch klar aufzuzeigen, dass das österreichische Volk nicht nur aus Opfern, sondern auch aus Tätern bestanden hat. Gerade die Geschichte von Otto, der Bruder von Ingrid, welcher im Krieg als Mitglied der Hitlerjugend bei der Verteidigung von Wien gegen die Alliierten fällt, lässt erkennen, wie sich auch das Österreichische Volk mit den Ideologien von Hitlerdeutschland identifiziert hat.

Der Bruch, der nach dem Krieg heranwachsenden Generation mit der Kriegsgeneration wird durch den Konflikt von Richard und seiner Tochter Ingrid sehr deutlich. Die Nachkriegsgeneration konnte sich nicht mit ihren Eltern identifizieren. Die uneingeschränkte Autorität des scheinbar allmächtigen Patriarchen wird nicht mehr akzeptiert. Die Rolle der Frau in der Gesellschaft gewinnt zunehmend an Bedeutung. Dies ist auch durch das Medizinstudium von Ingrid erkennbar, ein solches wäre noch eine Generation vorher unmöglich gewesen, es wäre ihr als Frau schlichtweg nicht erlaubt worden. Es fand also eine Entwicklung in der Gesellschaft statt, die Emanzipation der Frau.  Es bleibt der Aufschwung nach dem Krieg in welchem jeder, auch der scheinbar ungeschickte Peter, eine gute Arbeit bekommt. Sprich, dem Volk geht es gut. Man fährt nach Süden in den Urlaub.  Auch der Versuch von Peter seine pubertierende Tochter zu verstehen, zeigt die Veränderung in der Gesellschaft, weg von der Autorität hin zum Verständnis für Heranwachsende. Letztendlich ist in Phillip als Vertreter der heutigen Generation zu erkennen, welche scheinbar alles hat und dennoch nicht glücklich ist. Diese Generation ist weit weg von Krieg und Hunger, hat dies auch nie erlebt, trotz dessen ist sie nicht glücklicher als die vorhergehenden Generationen. Jede Generation hat mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Die eine Generation mit dem Krieg und die andere mit einer um sich greifenden Gesellschaftlichen Depression.
Arno Geiger schafft es auch durch die detaillierten Beschreibungen der Gefühle und Gedanken der Figuren, einen sehr tiefen Einblick in deren fiktives Leben zu ermöglichen. Auch die besondere Gestaltung der Dialoge hat einen maßgeblichen Einfluss. 
Diese Einblicke zeigen, dass jeder, wenn er auch Teil einer Familie also etwas großem, ist, dennoch in seiner eigene Welt lebt. Jeder erlebt sein Leben in einer ganz besonderen Individuellen Art. Wahrnehmung ist etwas sehr subjektives und so können zwei Personen eine Situation verschieden wahrnehmen. Auch ist das eigene Leben immer im Vordergrund und das der vorhergehenden Generationen verblasst mit der Zeit. So wie Spuren im Sand nach mehreren Wellen nicht mehr sichtbar sind.
 Das Erlebte ist sicherlich für den Einzelnen sehr wichtig, jedoch am Ende, für das große Ganze unerheblich. Denn auch die tiefsten Eindrücke im Sand verschwinden irgendwann.


Alexander Wachter

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