Samstag, 20. Juni 2015

Gedichtinterpretation des Gedichtes “Vor dem Tor” von Johann Wolfgang von Goethe


Das Gedicht “Vor dem Tor” ist ein Auszug aus der im Jahre 1808, veröffentlichten Tragödie “Faust, Tragödie erster Teil.” In der Tragödie wird die Geschichte des Doktor Faustus erzählt. In diesem Auszug der Tragödie erzählt Faustus, was er sieht als er mit seinem Schüler Wagner einen Osterspaziergang unternimmt.

Das Gedicht stammt aus der Literaturepoche der Klassik. Vor dem Tor” besitzt keine Strophen im herkömmlichen Sinne, es ist in einem Stück durchgehend geschrieben. Als Reimschema wechseln sich Block- (ab ba) und Kreuzreime (ab ab) unregelmäßig ab.

Das lyrische Ich, Faustus, erzählt, wie sich die Natur vom Einfluss des Winters befreit. Gewässer tauen auf, die Sonne scheint und die Natur grünt. Doch es ist noch nicht Sommer, denn obwohl die Sonne den Schnee bereits zum Schmelzen bringt, kommt es vor, dass es zu Graupelschauern kommt. Auch blühen die Blumen noch nicht. Der Frühling hat gerade erst begonnen. Die Menschen, welche sich im Winter in ihren Häusern aufhielten, verlassen diese nun und gehen durch das Stadttor hinaus in die Sonne und in die Natur. Die Menschen feiern Ostern und die Auferstehung Jesus Christus.

„Schlick-Faust“ von Gustav Schlick
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Der kommende Frühling befreit die Menschen von ihren oft engen und niedrigen Häusern in welchen sie zusammengepfercht auf den Sommer warteten. Vor dem Hintergrund der damaligen Zeit muss der Winter eine harte und entbehrungsreiche Zeit gewesen sein. Kurze kalte Tage und lange kalte Nächte.
So wie die Natur erwacht, erwachen dann auch die Menschen zu leben. Sie strömen durch das hohle finstere Tor nach draußen in die Sonne in die erwachte Natur.
Ostern fällt in den Frühling. So wird die Auferstehung Christi gleichzeitig mit der Auferstehung der Natur aus dem Winter gefeiert. Denn wie Goethe schreibt, muss der warme Frühling nach einem harten Winter einem neuen Leben, einer Auferstehung von einer Starre wie der eines Toten, geglichen haben. Da besteht also eine Analogie zwischen der Wiedergeburt Jesus und dem Wiedererwachen der Menschen aus der winterlichen Starre.
Es treibt die Menschen vor das Stadttor, in die Natur und die Gärten. Sogar der Fluss hat wieder Wasser und kann von den Menschen zum Transport genutzt werden. Auch zieht es die Menschen in die Berge, denn man sieht die Kleidung des einen oder anderen Wanderers schon von der Weite. Die Menschen genießen die neu erlangte Freiheit.
Auch das Dorf wacht auf, es kommt Bewegung in das Dorfleben. “Zufrieden Jauchzen Groß und Klein.” Denn gerade diese Zeit ist auch für das Volk, also nicht nur die Reichen, eine Zeit des Genusses und des Feierns. Denn mit dem Ostersonntag beginnt auch die 50 Tage dauernde österliche Freudenzeit.  
Auch Faust selbst ist von diesem Erwachen und Trubel angetan und bringt sein Wohlbefinden deutlich zum Ausdruck in dem er sagt: “Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!”.

“Vor dem Tor” beschreibt recht authentisch die Bedeutung von Frühling und Ostern für die Menschen des 19. Jahrhunderts. Für die Menschen war der Frühling nicht nur ein Erwachen der Natur, Ostern nicht nur die Wiedergeburt von Jesus, sondern regelrecht eine Wiedergeburt ihrer selbst und ihres eigenen Lebens. 


Alexander

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